Rechtsopportunistische Linke als Avantgarde der Gesellschaft ohne Opposition. Was tun wider den Zeitgeist der Verleumder?
In der deutschen Linken ist eine sich stetig beschleunigende Erosion des kritischen Bewusstseins zu beobachten. Eine starke Neigung zum autoritären Charakter, zur Servilität gegenüber der herrschenden Meinung und ein ausgeprägter Drang zur Sanktionierung aller, die noch den Kniefall vor der »deutschen Staatsräson« verweigern, sind nur einige von vielen signifikanten Merkmalen eines virulenten Rechtsopportunismus.
Sei es der Protest gegen außenpolitische Verwerfungen (völkerrechtswidrige Angriffskriege der NATO, Rüstungsgeschäfte mit Schlächter-Regimen wie Saudi-Arabien, Kooperationen mit protofaschistischen Staaten wie Ungarn und der Ukraine, die brutale Abwehr verzweifelt Hilfe suchender Flüchtlinge etc.) oder der letzte Einspruch gegen die Demontage der kläglichen Überbleibsel des Sozialstaates und der bürgerlichen Demokratie (Rotstiftpolitik gegen die Armen und opulente Steuer- und andere Geschenke an die Reichen, Durchsetzung des Überwachungsstaats und Feindstrafrechts etc.): Um schon den geringsten sich regenden Widerstand niederzuhalten, ist den ökonomischen Eliten und ihrem politischen Personal jedes Mittel recht. Noch im Milieu der Linken angesiedelte exlinke Propagandisten sind ihnen als Persilschein-Lieferanten stets zu Diensten bei der Entsorgung der Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit, an deren imperialistische Agenda das neue-alte große Deutschland, diesmal im Bunde mit dem Westen, ungehindert von dem lästigen kategorischen Imperativ »Nie wieder Krieg!« weitaus rücksichtsloser anknüpfen möchte als zu Zeiten der Bonner Republik. Vor allem sind sie zur Stelle, wenn es darum geht, Marxisten und andere Kritiker deutscher Zustände ins Visier zu nehmen und im Konzert mit Medien, Stiftungen, Parteien zu auf Einschüchterung, meist direkt auf Existenzentzug zielenden diffamatorischen Hetzjagden zu blasen – bevorzugt auf dem ideologischen Instrument des falschen Antisemitismusvorwurfs.
Bemerkenswert sind dabei die Bereitschaft zur Anwendung äußerster Perfidie und die bürgerliche Eiseskälte, mit der McCarthyeske Spektakel vor allem gegen ohnehin schon von Diskriminierung und Entrechtung Betroffene wie palästinensische und andere arabische Flüchtlinge oder Nachkommen ehemals Verfolgter des Nazi-Terrors veranstaltet werden. Atemberaubend ist, mit welcher Skrupellosigkeit sich bei der Ideologievermittlung des manipulativen Potenzials der »Sprache totaler Verwaltung« (Herbert Marcuse) bedient wird, die u.a. durch argumentfreie Debatten mit entleerten, gegen jeden Widerspruch immunisierten Begriffen gekennzeichnet ist. Besonders verstörend ist aber die Bereitschaft eines erheblichen Teils der Restlinken, sich als Statisten für diese schaurigen Inszenierungen von unter Orwellschen Labeln wie »Antideutsche«, »Antifa«, »Ideologiekritiker«, sogar »Kommunisten« agierenden exlinken Rechten herzugeben, immer häufiger auch aktiv als schützende Flanke zu fungieren.
Wie weit werden Linke und Exlinke noch gehen mit ihrem Verrat an Emanzipation und Aufklärung? Ist eine endgültige Integration noch linker Opposition in das unwahre Ganze überhaupt noch aufzuhalten? Wenn ja, wie? Was müssen fortschrittliche Kräfte tun wider den Zeitgeist der Verleumder? Ist es wenigstens noch der »unerträglichen Wahrheit« möglich, »Schutt und Trümmer« der Hetze, Lügen und Ressentiments »von den Hirnen und von den Herzen« zu räumen, wie es Erich Fried nach dem Massenmord in Sabra und Schatila 1982 hoffte?
Es diskutieren:
Moshe Zuckermann
ist emeritierter Professor an der Universität Tel Aviv. Er lehrte dort Geschichte, Philosophie und Soziologie der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften. Zu den Schwerpunkten seiner Forschungs- und Publikationstätigkeit gehören die Kritische Theorie und der Einfluss der Shoah auf die politischen Kulturen Israels und Deutschlands. Seine jüngsten Buchveröffentlichungen: »›Antisemit!‹ Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument«, Wien 2010; »Israels Schicksal. Wie der Zionismus seinen Untergang betreibt«, Wien 2014; »Freud und das Politische. Psychoanalyse, Emanzipation und Israel«, Wien 2016.
Rolf Becker
ist Schauspieler und Synchronsprecher, gewerkschaftlich organisiert im ver.di-Fachbereich Medien, Kunst und Industrie. Er war mehrere Jahre Mitglied im Ensemble des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg und wurde durch Spielfilme wie »Ich bin ein Elefant, Madame«, »Die verlorene Ehre der Katharina Blum«, die ARD-Kriminalreihe »Tatort« und andere TV-Produktionen bekannt. Seit vielen Jahren hält er Lesungen von Brecht, Heine, des Kommunistischen Manifests und kämpft als aktiver Antifaschist und Mitglied des Auschwitz-Komitees gegen das Vergessen. 2016 hat er an dem Projekt »›Losgelöst von allen Wurzeln …‹ Eine Wanderung zwischen den jüdischen Welten« mit Esther Bejarano und Moshe Zuckermann mitgewirkt.
Klaus-Jürgen Bruder
Psychoanalytiker, Professor für Psychologie, lehrte an der Freien Universität Berlin, Vorsitzender der Neuen Gesellschaft für Psychologie, in dieser Funktion: Organisator jährlicher Kongresse zur gesellschaftlichen Verantwortung der Sozialwissenschaften, z.B. »Trommeln für den Krieg« (2014), »Krieg um die Köpfe« (2015), »Migration und Rassismus. Die Politik der Menschenfeindlichkeit« (2016), »Gesellschaftliche Spaltungen« (2017), »Paralyse der Kritik. Eine Gesellschaft ohne Opposition« (2018); gilt als »einer der profiliertesten Vertreter einer explizit gesellschaftskritischen Psychologie« (Report Psychologie 5/2012).
Judith Bernstein
ist diplomierte hebräisch-deutsche Übersetzerin. Geboren in Jerusalem als Tochter jüdischer Eltern, die 1935 aus Deutschland fliehen mussten. Beginn ihrer politischen Arbeit mit Angehörigen der israelischen und der palästinensischen Friedensszene nach dem zweiten Golfkrieg 1991. Seither jüdische Sprecher der Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe München. Gemeinsam mit ihrem Ehemann zahlreiche Gespräche im Bundestag, im Auswärtigen Amt und im Bundeskanzleramt.