Über die Auswirkungen der »antideutsch« und »antinational« begründeten reaktionären Wende hegemonialer linker Bewegungen und die Möglichkeit ihrer emanzipativen Überwindung

Die antifaschistische wie die linke Bewegung in der Bundesrepublik insgesamt befinden sich seit Jahrzehnten in einer schweren Krise. Das Ausmaß, in dem »antideutsche« und »antinationale« Positionen heute vorherrschend sind, ist kaum zu überschätzen und findet europaweit keine Entsprechung. Beispielsweise in Spanien oder Griechenland wären solche Auswüchse undenkbar.

Die Regression der deutschen Linken hat in der politischen Praxis negative bis verheerende Auswirkungen: So fanden Antifaschisten nur vereinzelt und meist völlig ungenügende Antworten auf die mit staatlicher Beihilfe durchgeführte Mordserie der neofaschistischen Terrororganisation NSU, auf die milliardenfache Verletzung der Grundrechte durch den US-amerikanischen Auslandsgeheimdienst für Datenspionage NSA (ebenfalls unterstützt von deutschen Behörden) oder auf die vom deutschen Imperialismus mit forcierte Installation eines neoliberal-faschistischen Regimes in der Ukraine ‒ um nur einige besonders schwerwiegende Beispiele zu nennen.

In diesen Kontext gehört auch die Tatsache, dass der Mainstream linker und antifaschistischer Kräfte der bereits in den 1950er-Jahren von Adenauer als eine notwendige Voraussetzung der Militarisierung der BRD festgelegten deutsch-regierungsamtlichen Linie, der gemäß die Sicherung der Existenz des zionistischen Staates Israel Teil der »deutschen Staatsräson« ist, nicht nur kritiklos zustimmt, sondern sie oftmals noch ideologisch überbietet und gegen zionismuskritische Organisationen und Akteure agiert ‒ immer häufiger geschieht das mit Gewalt.

Dieses Vorgehen wird insbesondere mit einem Begriff des deutschen Faschismus legitimiert, der seines Klasseninhalts restlos beraubt ist. Vielfach wird er sogar für vollständig obsolet erklärt und an seiner Stelle der faschistische Propagandabegriff »Nationalsozialismus« ohne jegliche Distanzierung prononciert gegen den angeblich »ökonomistischen« Faschismusbegriff in Stellung gebracht. In gleicher Weise vollzieht die »antinationale Linke« die nazifaschistische Verengung des Volks-Begriffs auf einen »ethnischen« Gehalt nach – und wendet sich damit objektiv, oft genug auch bewusst und gewollt, gegen seinen plebejischen, proletarischen, revolutionären sozialen Gehalt. Bei all diesen ideologischen Verzerrungen wird nicht auf das Label »Antifa« verzichtet – mit der Konsequenz, dass dieser von den »Antinationalen« propagierte »Antifaschismus« sich gegen »die Subalternen« kehrt, von denen angeblich die Gefahr des »nationalen Sozialismus« ausgeht.

Weite Teile der deutschen Linken haben sich – bei meist eklektischer Weiterverwendung traditionellen linken Vokabulars – des Marxismus‘ als Werkzeug zur Reflexion von Geschichte für revolutionäre Bewegungen längst entledigt und faktisch ihren Frieden mit dem Imperialismus gemacht, den sie als lebens- und verteidigungswerte »Zivilisation« feiern. Damit leisten sie einen  Beitrag zur Entwicklung des Irrationalismus als adäquater Bewusstseinsform der imperialistischen Gesellschaft.

Eine fundamentale Bedingung für dieses Ankommen im Lager der vorläufigen »Sieger der Geschichte« war die vollständige Abkehr von einer Perspektive auf die Welt, die grundsätzlich und wissenschaftlich-kritisch von einer Parteinahme für die Verachteten, Unterdrückten, Geschlagenen und Beleidigten getragen ist und auf Basis einer nicht für die Verdammten dieser Erde, sondern mit ihnen gemeinsam geleisteten Analyse ihrer Stellung und Lebenswirklichkeit unter einer zunehmend brutaleren bürgerlichen Herrschaft praktische Schritte zur Organisation des Kampfs gegen das Elend vorzuschlagen willens und in der Lage ist.

Die ideologische Wende der deutschen Linken wurde exemplarisch und mit großem Pathos an der Position zum Zionismus und zur Praxis des zionistischen Staates vollzogen. Dabei werden »die Juden« verdinglichend mit der partikularen Bewegung zionistischer Politik identifiziert und die historisch einmalige Katastrophe der Shoah vereinnahmt – bis zwischen der wachsenden Zahl rechtsopportunistischer Demagogen in der Partei DIE LINKE, Jutta Ditfurths ÖkoLinX und der AfD aggressive Einigkeit darin besteht: Wer sich gegen den Zionismus, wer sich gegen die vom westlichen Imperialismus unterstützte israelische Politik der Besatzung, Vertreibung und Annexion stellt, muss »Antisemit« sein.

Angesichts dieser irrationalen deutschen Zustände wird es Zeit, darauf zu bestehen, dass die grundlegenden Denkwerkzeuge des Historischen Materialismus und die Erfahrungen der internationalen revolutionären Bewegungen kritisch und selbstkritisch auf das Bekenntnis zum Zionismus, Imperialismus, Klassenkampf von oben und andere Zerfallserscheinungen in der deutschen Linken angewendet werden müssen. Dies aber nicht etwa in einem archivalischen Interesse an der Frage, wie es so weit hat kommen können. Es muss vielmehr darum gehen, sich als Bewegung in den Rahmen einer sorgfältig begründeten Rekonstruktion marxistischen Denkens und einer mit ihr verbundenen revolutionären Praxis zu stellen − ohne die theoretische Bemühungen ziellos bleiben und scheitern werden! − mit dem Ziel, die aktuellen deutschen Zustände der Linken zu überwinden.

Hans Christoph Stoodt
geboren 1954, Studium der ev. Theologie und Religionswissenschaften in Berlin, Israel, Heidelberg, Mainz und Frankfurt am Main. 1988 Promotion zum Dr. theol. über ein Thema der mittelalterlichen Kirchengeschichte. Pfarrer in Frankfurt. Politisch aktiv in verschiedenen linken Zusammenhängen. Mitbegründer und Sprecher der Anti-Nazi-Koordination Frankfurt 2002 – 2015. Zahlreiche politische Blogbeiträge auf wurfbude.wordpress.com und antinazi.wordpress.com.